
Der Weg zur Elternschaft durch eine Tragemutter (unser bevorzugter Begriff für „Leihmutter", wie wir später erläutern werden) ist komplex und facettenreich, insbesondere in den USA, wo sie legal und kommerziell geregelt ist. Auf unserer Reise zur Vaterschaft standen wir früh vor der Frage, wie wir respektvoll und präzise über die beteiligten Frauen sprechen sollten. Dabei stellten wir fest, dass die gängigen Begriffe „Leihmutter“ und „Eizellspenderin“ problematische Konnotationen haben.
Die Macht der Sprache in der Leihmutterschaftsdebatte
Sprache hat eine immense Macht, da sie nicht nur unsere Kommunikation beeinflusst, sondern auch unser Denken und Handeln prägt. In der Debatte um Leihmutterschaft kann die Wahl der Worte entscheidend sein, da sie unsere Wahrnehmung der beteiligten Personen und ihrer Rollen formt.
- Framing und Wahrnehmung: Wie wir über Leihmutterschaft sprechen, kann das Bild, das wir von dieser Praxis haben, stark beeinflussen. Begriffe wie „Leihmutter“ oder „Eizellspenderin“ tragen spezifische Konnotationen, die sowohl positive als auch negative Assoziationen hervorrufen können. Das Konzept des „Framing“, wie es von George Lakoff beschrieben wird, zeigt auf, dass die Art und Weise, wie wir etwas formulieren, unsere Sichtweise darauf beeinflusst. Wenn wir beispielsweise von einer „Leihmutter“ sprechen, könnte dies den Eindruck erwecken, dass es sich um eine rein funktionale Beziehung handelt, während „Tragemutter“ eine respektvollere und menschlichere Perspektive vermittelt.
- Einfluss auf das Kindeswohl: Die Sprache hat nicht nur Auswirkungen auf die Wahrnehmung der beteiligten Frauen, sondern auch auf das Kindeswohl. Kinder aus Leihmutterschaftsverhältnissen verdienen es, in einem Umfeld aufzuwachsen, das ihre Herkunft respektiert und anerkennt. Die Verwendung von Begriffen, die sowohl kindgerecht als auch respektvoll sind, trägt dazu bei, dass sich das Kind sicherer fühlt und ein positives Selbstbild entwickelt.
- Gesellschaftliche Akzeptanz: Indem wir respektvolle und präzise Begriffe verwenden, fördern wir ein positives Bild von Familien, die durch Leihmutterschaft entstehen. Dies kann dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und eine offenere Diskussion über alternative Familienformen zu ermöglichen.
- Verantwortung der Sprache: Letztlich liegt die Verantwortung für die Verwendung von Sprache bei uns. Wir sollten uns bewusst sein, wie unsere Wortwahl die Realität beeinflussen kann und uns bemühen, eine Sprache zu wählen, die Vielfalt wertschätzt und das Wohl aller Beteiligten in den Mittelpunkt stellt.
Die Problematik der gängigen Begriffe
Leihmutter: Der Begriff „Leihmutter“ ist weit verbreitet und schnell verständlich. Doch bei näherer Betrachtung wirkt er reduzierend, denn er legt nahe, dass ein Körper lediglich „ausgeliehen“ wird. Das empfanden wir als entmenschlichend und unpassend für die respektvolle Rolle der Frau, die unser Kind getragen hat. Zudem verdeckt dieser Begriff den kommerziellen Charakter unseres Arrangements, was in den USA ein legaler und transparenter Prozess ist.
Eizellspenderin: „Eizellspenderin“ klingt nach einer altruistischen Handlung, bei der eine Frau ohne Gegenleistung Eizellen bereitstellt. In unserem Fall war dies jedoch eine kommerzielle Vereinbarung. Der Begriff spiegelte daher nicht die Realität wider, in der die genetische Spende gegen eine Entlohnung erfolgte, und er war für uns und unsere Geschichte nicht treffend.
Auf der Suche nach besseren Begriffen
Bei unserer Suche nach passenden Begriffen haben wir verschiedene wichtige Aspekte berücksichtigt:
- Die genetische Verbindung: Bei der „klassischen" Leihmutterschaft, wie in unserem Fall, stammt die Eizelle nicht von der Frau, die das Kind austrägt. Das Kind ist genetisch mit den Wunscheltern verwandt, nicht mit der Tragemutter. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die Rollen klar zu unterscheiden.
- Die Durchbrechung des Prinzips „mater semper certa est": Traditionell galt der Grundsatz, dass die Frau, die das Kind zur Welt bringt, immer die Mutter ist. Leihmutterschaft stellt dieses Prinzip in Frage und erfordert neue Denkansätze.
- Die emotionale Komplexität: Viele Tragemütter beschreiben ihre Beziehung zu den intendierten Eltern als „Shared Love" - eine geteilte Liebe für das Kind. Dies zeigt, wie vielschichtig die emotionalen Bindungen in diesem Prozess sein können. Die Beziehung zwischen Wunscheltern und Tragemutter wird oft als partnerschaftlich und unterstützend beschrieben.
- Der Einfluss der Tragemutter: Obwohl sie keinen genetischen Einfluss auf das Kind hat, kann die Tragemutter durch ihre Lebensweise während der Schwangerschaft das Wohlbefinden und die Entwicklung des Kindes beeinflussen. Durch epigenetische Faktoren kann sie die Genexpression des Kindes beeinflussen, ohne dessen genetisches Material zu verändern.
- Äußere Merkmale: Es ist wichtig zu verstehen, dass das Kind äußerlich den genetischen Eltern ähneln wird, nicht der Tragemutter, es sei denn, es gibt zufällige Ähnlichkeiten.
- Rechtliche Aspekte: In vielen Ländern, einschließlich der meisten EU-Länder, gilt die Frau, die das Kind gebiert, rechtlich als Mutter, auch wenn sie nicht genetisch verwandt ist. Dies unterstreicht die Komplexität der Situation und die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung.
- Das Kindwohl: Besonders in jungen Jahren ist es wichtig, dem Kind komplexe Sachverhalte in leicht verständlicher Sprache zu erklären. Nur so kann es seine Familie begreifen und souverän gegenüber seinem Umfeld auftreten.
Wir haben gründlich nach Alternativen gesucht, um die Beteiligten respektvoll und treffend zu benennen. Hier einige Überlegungen:
Für die Frau, die das Kind ausgetragen hat:
- Bauchmama: Diesen Begriff finden wir häufig. Kindgerecht, allerdings verniedlichend.
- Geburtsmutter: Klar, aber könnte fälschlicherweise eine dauerhafte Mutterrolle implizieren.
- Austragungsperson: Neutral, jedoch distanziert und wenig persönlich.
- Tragemutter: Betonung auf die Rolle des Tragens, respektvoll und neutral.
- Schwangerschaftsträgerin: Präzise, aber sehr technisch.
Für die Frau, die die Eizelle bereitgestellt hat:
- Genetische Beiträgerin: Präzise, aber eher formell.
- Eizellgeberin: Klar, vermittelt aber wenig emotionale Wärme.
- Genmutter: Kindgerecht und zeigt die genetische Verbindung.
- Genetische Unterstützerin: Hebt den unterstützenden Beitrag hervor.
Grundlegende Überlegungen zur Begriffswahl
Bei unserer Entscheidungsfindung haben wir uns drei zentrale Fragen gestellt:
- Einheitlicher oder differenzierter Begriff?
Wir haben uns für einen einheitlichen Begriff entschieden, der sowohl gegenüber dem Kind als auch in der Gesellschaft verwendet wird. Dies schafft Klarheit und gibt dem Kind Sicherheit, wenn es über seine Herkunft spricht. Obwohl ein differenzierter Ansatz in formellen Kontexten vorteilhaft sein könnte, überwogen für uns die Vorteile der Konsistenz. - Verbindung zum Begriff „Mama" oder „Mutter"?
Nach sorgfältiger Abwägung haben wir uns für eine Verbindung mit dem Begriff „Mutter" entschieden. Während Begriffe wie „Bauchmama" oder „Herzmama" eine emotionale Nähe schaffen, könnten sie in der Außenwelt zu Missverständnissen führen. „Mutter" weist eher auf eine Funktion hin und ist weniger persönlich als „Mama", was in unserem Fall passender erschien. - Einheitliche Struktur der Begriffe oder unterschiedliche Begriffe?
Wir strebten nach Begriffen, die sich zwar ähneln und kindgerecht sind, aber dennoch klar verständlich und abgrenzend sind. Daher haben wir uns für „Tragemutter" und „(Genetische) Mutter" entschieden. Diese Begriffe sind in ihrer Struktur ähnlich, verdeutlichen aber die unterschiedlichen Rollen.
Unsere Wahl: „Tragemutter“ und „(Genetische) Mutter“
Nach reiflicher Überlegung haben wir uns für „Tragemutter“ entschieden. Dieser Begriff ist:
- Neutral und respektvoll: Er betont die bedeutende Rolle, die sie gespielt hat, ohne sie zu reduzieren.
- Präzise und verständlich: Sowohl Kinder als auch Erwachsene können den Begriff nachvollziehen.
- Transparent: Verschleiert nicht den kommerziellen Charakter der Vereinbarung, sondern erkennt ihn als Teil der Realität an.
Für die Frau, die die Eizelle bereitgestellt hat, nutzen wir die Bezeichnung „Mutter“ oder, wenn eine detaillierte Erklärung nötig ist, „(Genetische) Mutter“. Diese Begriffe:
- Anerkennung der genetischen Verbindung: Sie bringen die Rolle als genetische Elternfigur zum Ausdruck.
- Verständlichkeit: Der Begriff „Mutter“ ist für Kinder und Außenstehende leicht verständlich, während „(Genetische) Mutter“ eine klare Unterscheidung ermöglicht.
- Respekt: Der Begriff vermeidet eine romantisierende Darstellung und vermittelt eine realistische Perspektive.
Wir stellten uns zum Beispiel vor, wie das Kind als junger Erwachsener beim Arzt gefragt wird, ob es in seiner Familie bestimmte Krankheitsfälle gab. Es kann dann souverän von der medizinischen Historie seiner Mutter erzählen ohne über seine Herkunft sprechen zu müssen.
Diese Begriffe helfen uns auch, die komplexe Realität der Leihmutterschaft zu vermitteln, bei der die Tragemutter zwar keinen genetischen Beitrag leistet, aber dennoch einen wichtigen Einfluss auf die pränatale Entwicklung des Kindes hat.
Blick in die Zukunft: Begriffe als Wegbereiter für Akzeptanz
Die von uns gewählten Begriffe „Tragemutter" und „(Genetische) Mutter " sind nicht nur für unsere persönliche Situation relevant, sondern könnten auch eine breitere gesellschaftliche Wirkung entfalten. Indem wir respektvolle, präzise und verständliche Begriffe verwenden, tragen wir dazu bei, den Diskurs über Leihmutterschaft und nicht-traditionelle Familienformen zu normalisieren.
Diese Begriffe können als Brücke dienen, um komplexe Familienkonstellationen für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen. Sie könnten in Zukunft dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und ein inklusiveres Verständnis von Familie zu fördern. Möglicherweise finden diese oder ähnliche Begriffe Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch, in Medienberichte und sogar in rechtliche Dokumente, was wiederum die gesellschaftliche Akzeptanz verschiedener Familienformen fördern könnte.
Letztendlich hoffen wir, dass unsere Bemühungen um eine respektvolle und klare Sprache dazu beitragen, eine Welt zu schaffen, in der alle Familien - unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte - gleichberechtigt anerkannt und wertgeschätzt werden.
Wir möchten aber auch betonen, dass dies unsere persönliche Entscheidung ist und wie wir in unserer Familie und mit unserem Umfeld sprechen wollen. Für andere Familien sind andere Begriffe sicherlich besser geeignet.
Unsere Entscheidung für die Begriffe „Tragemutter" und „(Genetische) Mutter" spiegelt unsere Werte wider: Respekt für alle Beteiligten, Klarheit und Transparenz. Diese Begriffe helfen uns, die Komplexität unseres Weges zur Elternschaft präzise und offen darzustellen, ohne die Rollen zu überhöhen oder zu verzerren.
Mit dieser Begriffswahl hoffen wir, einen Beitrag zu einer ehrlichen und respektvollen Diskussion über moderne Familienformen zu leisten und das Verständnis für die vielfältigen Wege zur Elternschaft zu fördern. Wir glauben, dass diese Begriffe zu einem besseren Verständnis und einer offeneren Diskussion über moderne Familienformen beitragen können, indem sie die Komplexität der Situation anerkennen und gleichzeitig die Würde aller Beteiligten respektieren.
Für eine tiefere Auseinandersetzung mit den rechtlichen Aspekten in Deutschland im Vergleich zu den USA, den ethischen Fragen zur Kommerzialisierung der Leihmutterschaft und den Möglichkeiten, die sich für LGBTIQ*-Personen eröffnen, verweisen wir auf unsere früheren Blogposts.
Kommentar hinzufügen
Kommentare