Warum Care-Arbeit mehr Sichtbarkeit braucht – gesellschaftliche Einordnung

Veröffentlicht am 3. Juli 2025 um 16:38

Care-Arbeit ist das Rückgrat unserer Gesellschaft und gleichzeitig eines ihrer größten blinden Flecken. Sie umfasst Kinderbetreuung, Pflege, Haushalt, emotionale Fürsorge und vieles mehr. Ohne sie würde das soziale Gefüge zusammenbrechen. Und doch wird Care-Arbeit oft übersehen, unsichtbar gemacht oder nicht angemessen anerkannt. Besonders Regenbogenfamilien spüren, wie stark Fürsorgearbeit mit gesellschaftlichen Erwartungen und rechtlichen Hürden verknüpft ist. Für uns als schwules Paar ist Care-Arbeit nicht nur das Stillen alltäglicher Bedürfnisse, sondern auch das bewusste Gestalten von Familie und Partnerschaft jenseits traditioneller Rollenbilder. In diesem Beitrag zeigen wir, warum Care-Arbeit endlich mehr Sichtbarkeit braucht - für uns, für alle Familien und für eine Gesellschaft, die Zukunft haben will.

Was versteht man unter Care-Arbeit?

Definition & Beispiele

Care-Arbeit beschreibt alle Tätigkeiten, die der Fürsorge, Pflege und Versorgung von Menschen dienen. International wird häufig der Begriff „unpaid care work“ verwendet. Dazu gehören etwa:

  • Kindererziehung und -betreuung
  • Pflege von Angehörigen
  • Haushalt und Organisation
  • Emotionale Unterstützung und Beziehungsarbeit

Care-Arbeit ist körperliche und mentale Arbeit. Sie erfordert Zeit, Energie und emotionale Präsenz - Qualitäten, die im Alltag oft unsichtbar bleiben.

Unbezahlte vs. bezahlte Care-Arbeit

Unterschieden wird zwischen unbezahlter Care-Arbeit (z. B. Kinderbetreuung innerhalb der Familie) und bezahlter Care-Arbeit (z. B. Pflegeberufe). Beide sind gesellschaftlich unverzichtbar, werden aber strukturell häufig abgewertet, sei es durch niedrige Löhne oder durch fehlende Anerkennung im Alltag.

Unsichtbare Arbeit: Warum Care-Arbeit übersehen wird

Gesellschaftliche Rollenbilder

Care-Arbeit gilt historisch als „Frauenarbeit“. In heteronormativen Kontexten wird von Müttern erwartet, dass sie automatisch die Hauptverantwortung übernehmen. Regenbogenfamilien stellen diese Normen infrage und zeigen, dass Fürsorge keine Frage des Geschlechts ist.

Wirtschaftliche Bewertung

Care-Arbeit taucht im Bruttoinlandsprodukt nicht auf, obwohl ihr Wert enorm ist. Schätzungen des Statistischen Bundesamtes beziffern den gesamtwirtschaftlichen Wert unbezahlter Care-Arbeit auf über 1 Billion Euro jährlich - rund ein Drittel des BIP. Damit ist Care-Arbeit ein systemrelevanter Bereich, der dennoch meist unsichtbar bleibt.

Care-Arbeit und Regenbogenfamilien

Unsere Erfahrungen als schwules Paar

Schon vor der Geburt unseres Sohnes erleben wir, wie Fürsorgearbeit mit Planung, Kommunikation und Erwartungen verbunden ist. Wer übernimmt welche Aufgaben? Wer kümmert sich um Haushalt, mentale Belastung oder organisatorische To-Dos rund um Schwangerschaft und Leihmutterschaft?

Wichtig: Leihmutterschaft ist in Deutschland gesetzlich verboten. Viele Paare - auch wir - realisieren diesen Weg im Ausland. Nach deutschem Recht gilt grundsätzlich die Frau, die das Kind geboren hat, als Mutter. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen erschweren es zusätzlich, Care-Arbeit sichtbar zu machen und gleichberechtigt zu organisieren.

Gleichberechtigung im Alltag

Wir versuchen bewusst, Aufgaben fair zu verteilen. Während einer von uns organisatorische Abläufe mit Agentur und Klinik managt, kümmert sich der andere um die emotionale Bindung zur Tragemutter. Später wird es genauso wichtig sein, Routinen so zu gestalten, dass die „unsichtbare Last“ nicht nur auf eine Person fällt.

Rechtliche Aspekte für Regenbogenfamilien

In Deutschland können schwule Paare rechtlich nicht beide automatisch als Eltern anerkannt werden, sondern müssen meist den Weg über eine Stiefkindadoption gehen. Das betrifft nicht nur die Sichtbarkeit von Elternschaft, sondern auch die gesellschaftliche Wertschätzung der Care-Arbeit, die beide leisten.

Stimmen aus Gesellschaft & Forschung

Studien zur Belastung von Care-Arbeit

Aktuelle Untersuchungen zeigen: Frauen in Deutschland leisten rund die Hälfte mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer. Das entspricht etwa 9 Stunden mehr pro Woche. Besonders groß sind die Unterschiede in Haushalten mit kleinen Kindern. Hinzu kommt der „Mental Load“ (die Verantwortung, an alles zu denken) die überwiegend von Frauen getragen wird (BMFSFJ, OECD, UN Women).

Stimmen aus der LGBTQ+-Community

„Wir müssen Rollen neu erfinden.“ Schwule Väter berichten, wie sie mit Klischees kämpfen („Könnt ihr das überhaupt?“), während lesbische Mütter erleben, dass ihnen zugeschrieben wird, jemand müsse die „Vaterrolle“ übernehmen. Regenbogenfamilien können durch ihr bewusstes Aushandeln von Care-Arbeit Vorbilder für eine moderne, gleichberechtigte Familienkultur sein.

Wege zu mehr Sichtbarkeit und Wertschätzung

Politische Maßnahmen

  • Faire Entlohnung in Pflegeberufen
  • Verbesserte Elternzeitmodelle für alle Familienformen
  • Statistische Erfassung von Care-Arbeit, um ihren Wert sichtbar zu machen

Praktische Tipps für Familien

  • Care-Arbeit benennen: Wer macht was?
  • Aufgaben regelmäßig neu verteilen
  • „Mental Load“ bewusst ansprechen
  • Care-Arbeit sichtbar machen - auch in Gesprächen mit Freund:innen, Kolleg:innen oder Familie

Was jede:r Einzelne tun kann

  • Wertschätzung ausdrücken („Danke, dass du das machst!“)
  • Care-Arbeit nicht als selbstverständlich ansehen
  • In Diskussionen aktiv auf die Bedeutung hinweisen
  • Eigene Privilegien reflektieren und Unterstützung anbieten

Care-Arbeit ist Arbeit!

Care-Arbeit darf nicht länger unsichtbar bleiben. Sie ist ein zentraler Baustein unserer Gesellschaft, ob in klassischen oder in Regenbogenfamilien. Sichtbar gemachte Care-Arbeit trägt zu mehr Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Menschlichkeit bei.

Wie erlebt ihr Care-Arbeit in eurem Alltag? Teilt eure Erfahrungen in den Kommentaren, abonniert unseren Newsletter oder hört in unseren Podcast hinein: Dort sprechen wir regelmäßig über Fürsorge, Gleichberechtigung und moderne Vaterschaft.

 

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Quellen & Studien zu Care-Arbeit

1. Statistisches Bundesamt (Destatis) – Wert der unbezahlten Care-Arbeit

  • Quelle: Statistisches Bundesamt, 2020.
  • Beschreibung: Studie zum volkswirtschaftlichen Wert von unbezahlter Care-Arbeit in Deutschland. Ergebnis: rund 1,2 Billionen Euro jährlich, entsprechend ca. 30–40 % des BIP.
  • Link: Destatis – Unbezahlte Arbeit

2. BMFSFJ – Gender Care Gap Report

  • Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), 2020.
  • Beschreibung: Analyse zum Gender Care Gap in Deutschland: Frauen leisten im Schnitt rund 52 % mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer. Besonders deutlich wird die ungleiche Verteilung in Familien mit kleinen Kindern.
  • Link: BMFSFJ – Gender Care Gap

3. OECD – Unpaid Care Work across the World

  • Quelle: OECD Policy Brief, 2019.
  • Beschreibung: Internationale Vergleichsstudie zur unbezahlten Care-Arbeit. Ergebnis: Frauen leisten weltweit durchschnittlich mehr als doppelt so viel Care-Arbeit wie Männer.
  • Link: OECD – Unpaid Care Work

4. UN Women – Progress of the World’s Women

  • Quelle: UN Women, 2019.
  • Beschreibung: Globaler Report zur Rolle von Frauen in Arbeit, Care und Gesellschaft. Betont, dass unbezahlte Care-Arbeit ein zentrales Hindernis für Gleichstellung bleibt.
  • Link: UN Women Report

5. Hans-Böckler-Stiftung – Mental Load und Geschlechterungleichheit

  • Quelle: Hans-Böckler-Stiftung, 2022.
  • Beschreibung: Studie über den „Mental Load“ in deutschen Haushalten. Ergebnis: Frauen übernehmen überproportional die unsichtbare Verantwortung für Organisation und Planung.
  • Link: Hans-Böckler-Stiftung – Mental Load

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