
Sicher ankommen – auch über Grenzen hinweg
2025 fühlt sich Europa für Regenbogenfamilien an wie ein Flickenteppich: In einigen Ländern sind wir rechtlich umfassend geschützt, anderswo stoßen wir auf Lücken, Widersprüche oder sogar Rückschritte. Laut Rainbow Map liegen Malta (88,83 %), Belgien (85,31 %), Island (84,06 %), Dänemark (80,10 %) und Spanien (77,97 %) an der Spitze; Deutschland steht mit 69,10 % auf Platz 8. Zugleich verzeichnet die 2025er-Ausgabe erstmals mehr Regressionen als Fortschritte. Was bedeutet das für Familien, die reisen, umziehen, arbeiten – kurz: die ihre Freiheit in der EU leben möchten?
In diesem Guide erklären wir klar und praxisnah:
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welche europäischen Grundsätze bereits schützen (z. B. EuGH-Urteil V.M.A.),
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wo nationale Sonderwege weiterhin Stolpersteine sind,
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wie wir (Martin & Robert) die Dokumentenpraxis organisieren,
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und warum wir konsequent „Tragemutter/Tragemutterschaft“ sagen (nicht „Leihmutter“).
Am Ende findest du konkrete Checklisten, Mini-FAQ und Weiterlesen-Links in unseren Blog.
1) Überblick 2025: Was die Zahlen erzählen – und was nicht
Die Rainbow Map bewertet u. a. Anti-Diskriminierung, Familie/Partnerschaft, Hasskriminalität/-rede, rechtliche Geschlechtsanerkennung, Schutz intergeschlechtlicher Menschen, Zivilgesellschaft und Asyl. Die Top-5 sichern Ehe, Elternschaft und Schutz vor Gewalt besser ab als der EU-Durchschnitt. Trotzdem gilt: Familienrecht ist national. Ein hoher Score heißt nicht, dass jede Behörde alle Konstellationen reibungslos anerkennt – gerade bei grenzüberschreitender Elternschaft.
Auffällig 2025:
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Fortschritt: Eheöffnung in Griechenland (inkl. Adoption).
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Risikozonen: Italien kriminalisiert Tragemutterschaft auch im Ausland; Slowakei verengt Grundrechte mit Verfassungsänderung („nur zwei Geschlechter“).
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Trans-Rechte: Mehr Rückschritte als Verbesserungen – wichtig für Papiere, Namen, Geschlechtseinträge und Elternbezeichnungen.
Kurz: Europa schützt – aber uneinheitlich. Wer mit Kind reist, braucht Vorbereitung und die richtigen Unterlagen.
2) Ehe, Partnerschaft, Adoption: Wo stehen wir?
Eheöffnung: 22 europäische Länder erkennen gleichgeschlechtliche Ehen an (u. a. DE, FR, ES, NL, BE, CH, GR, UK). Griechenland legalisierte am 15.02.2024 die Ehe und gemeinsame Adoption – als erstes Land mit orthodoxer Tradition.
Eingetragene Partnerschaften: u. a. IT, HU, CZ, HR, CY, LV, LT, ME, MC, SM.
Gemeinsame Adoption: 23 Länder erlauben Joint Adoption (u. a. DE, BE, FR, ES, NL, CH, UK, AT, PT, SE, NO, LU, IS, IE).
Wichtig: Selbst wenn Ehe und Adoption offen sind, bleiben Detailfragen – z. B. automatische Mit-Elternschaft ab Geburt oder Namensführung in Urkunden.
3) Anerkennung von Elternschaft über Grenzen: Was der EuGH schon klärt – und was (noch) nicht
Das EuGH-Urteil V.M.A. (C-490/20) setzt einen klaren Marker: Familienbande, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig festgestellt wurden (z. B. zwei Mütter auf einer Geburtsurkunde), müssen mindestens für Freizügigkeitsrechte anerkannt werden – etwa bei Ausstellung von Ausweisen oder Aufenthaltsdokumenten für das Kind. Das schützt das Recht des Kindes, sich mit beiden Elternteilen in der EU frei zu bewegen.
Aber: V.M.A. ist kein Allheilmittel. Es erzwingt keine vollständige Gleichstellung im Zivilrecht des Zielstaates (Sorgerecht, Unterhalt, Namensrecht etc.). Deshalb setzt die EU auf eine Verordnung zur gegenseitigen Anerkennung von Elternschaft (COM(2022)695). Das geplante EU-Elternschaftszertifikat würde ein einheitliches Beweisdokument schaffen, das alle Mitgliedstaaten anerkennen müssten – ohne Neuprüfung des Entstehungswegs. Stand Oktober 2025: Das Parlament unterstützt, im Rat ist das Dossier blockiert.
Konsequenz für Familien: Bis zur Verabschiedung bleibt es beim Mix aus Freizügigkeitsschutz + nationalen Verfahren (z. B. Stiefkindadoption).
4) Länder-Snapshots: Was bedeutet das konkret?
Deutschland (DE)
Reformkurs: Die Abstammungsrechts-Reform (Mit-Elternschaft ab Geburt, geschlechtsneutrale Elternstellen) ist 2025 weiterhin ausstehend. Der Bundesrat forderte am 23.05.2025 Fortschritte für Zwei-Mütter-Familien.
Praxis: Anerkennung von im Ausland entstandener Elternschaft läuft häufig über Adoption bzw. Anerkennungsverfahren. Für Reisen gilt: Beglaubigte und mehrsprachige Urkunden mitführen.
Frankreich (FR)
PMA für alle (2021) öffnete Reproduktion für lesbische Paare und Single-Frauen – in der Folge stiegen Wartezeiten.
Tragemutterschaft ist im Inland verboten; internationale Fälle werden über Adoptionswege und Rechtsprechung gelöst.
Niederlande (NL)
Automatische gemeinsame Obsorge: Gilt seit 1.1.2023 für alle ab diesem Datum anerkannten Kinder, unabhängig vom Geburtsdatum.
Tragemutterschaft ist streng reguliert und nicht kommerziell; Einzelfälle sind möglich, aber komplex.
Belgien (BE)
Sehr hohe Schutzwerte, Ehe, Adoption und ART gut etabliert. Tragemutterschaft ohne klares Spezialgesetz, in der Praxis altruistische Konstellationen.
Spanien (ES)
Hoher Schutz, nationale LGBTI-Strategie 2025–2029 in Vorbereitung und adressiert u. a. Hasskriminalität, Familienrechte und Behördenzugang. Tragemutterschaft im Inland verboten; Auslandsfälle werden pragmatisch gehandhabt.
Griechenland (GR)
Februar 2024: Ehe & Adoption geöffnet. 2025: Debatte/Pläne, Tragemutterschaft für männliche Paare und Single-Männer auszuschließen; IVF für zwei Frauen bleibt umstritten. Für Planung: aktuelle Praxis checken.
Italien (IT)
Seit Oktober 2024 gilt Tragemutterschaft als „universelles Verbrechen“ – auch im Ausland (bis 2 Jahre Haft, bis 1 Mio. €). 2025 ermöglichten Gerichte 2-Mütter-Einträge in Einzelfällen; politisch bleibt es restriktiv. Für Rückkehr mit im Ausland entstandener Elternschaft: anwaltlich beraten lassen.
Slowakei (SK)
September 2025: Das Parlament änderte die Verfassung und erkennt nur noch zwei Geschlechter an; dadurch werden Adoptionswege faktisch enger und Verwaltungspraktiken restriktiver. Ein warnendes Beispiel für den europäischen Backlash – relevant für mobile Familien
5) Tragemutterschaft in Europa: Ein ordnungspolitisches Puzzle
Wir verwenden konsequent „Tragemutter/Tragemutterschaft“ (statt „Leihmutter/-schaft“), weil der Begriff respektvoller ist und die Beziehungsrealität zwischen allen Beteiligten (Intention, Fürsorge, Verantwortung) besser abbildet. Gleichzeitig bleibt das Rechtsfeld zersplittert:
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Erlaubt/reguliert (altruistisch, eng): Teile der NL; GR historisch reguliert, 2025 mit Plänen zum Ausschluss männlicher Paare/Single-Männer.
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Verbot im Inland, pragmatische Anerkennung von Auslandsfällen: DE, FR, ES – oft über Adoption/Anerkennungsverfahren.
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Strikt/kriminalisiert: IT – auch Auslandsfälle strafbar.
Praxis-Hinweis: Wer eine Tragemutterschaft im Ausland plant, sollte vorab klären:
(1) Einreise/Heimkehr (Konsulate, Pässe, Urkunden),
(2) Anerkennung beider Elternteile in Deutschland,
(3) Versicherungsfragen, Mutterschutz/Elternzeit und Namensführung.
Schon kleine Abweichungen (z. B. Schreibweise, fehlende Apostille) kosten später Wochen.
6) EU-Elternschaftszertifikat: Der Deep Dive
Der Vorschlag COM(2022)695 würde die Portabilität der Elternschaft in der EU deutlich erhöhen. Kernpunkte:
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Standardisiertes Zertifikat (mehrsprachig) statt „Papier-Sammelsurium“.
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Keine Neuprüfung des Entstehungswegs (Adoption, ART, Tragemutterschaft im Ausland).
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Kindeswohl als Leitprinzip: Rechte des Kindes dürfen an Grenzen nicht enden.
Was es nicht tut:
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Es vereinheitlicht nicht das Familienrecht (Zugang zu ART etc.).
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Es neutralisiert keine Strafnormen (z. B. italienisches Surrogacy-Verbot).
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Es ersetzt nicht die Terminologiearbeit in Verwaltung und Gesellschaft.
Warum wir es brauchen: Gerade mobile Familien – Expats, Pendler:innen, EU-Studierende – verlieren heute Zeit und Rechte in Zweitverfahren. Ein Zertifikat reduziert Behördenstress und Kosten.
Status 10/2025: Politisch blockiert im Rat. Bis dahin gilt: Apostille, beglaubigte Übersetzung, V.M.A.-Passage ausgedruckt.
7) Trans*-Rechte: Kleines Detail, große Wirkung
Der Trans Rights Index 2025 zeigt eine negative Trendwende. Für Familien bedeutet das: Prüft vor Reisen, ob Name/Geschlecht in allen Dokumenten konsistent sind. In der Praxis helfen:
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Bescheide oder Amtsbestätigungen zur Personenstandsänderung (mit Aktenzeichen),
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kurze englischsprachige Notiz, die die Änderung erklärt,
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ein Mapping-Dokument („vormals X, jetzt Y“), das sich in Unterlagen wiederfindet.
Das klingt trocken – verhindert aber Verzögerungen an Grenzen, in Kliniken oder Schulen.
8) Was wir selbst gelernt haben (Martin & Robert)
Wir reisen mit einem redundanten Dokumentenset: alles zweifach (Papier + verschlüsseltes PDF im Cloud-Ordner), Apostillen und Übersetzungen griffbereit, Kontakte der Konsulate gespeichert. In Gesprächen mit Behörden hilft uns eine bewusste, respektvolle Sprache. Wenn jemand „Leihmutter“ sagt, antworten wir freundlich: „Wir verwenden Tragemutter, weil…“ – und die Kommunikation wird ruhiger.
Zwei Situationen aus unserem Notizbuch:
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Flughafenschalter: Der Blick wurde skeptisch, bis wir die Geburtsurkunde + Apostille und einen einseitigen Verweis auf V.M.A. zeigten. Danach: Stempel, „Gute Reise“.
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Ärztliche Aufnahme: Wir hatten eine Vollmacht vorbereitet, die klarstellt, dass beide Eltern entscheidungsbefugt sind. Das sparte am Ende Zeit – und Nerven.
9) Checkliste: EU-Grenzübertritt mit Kind
Immer doppelt (Papier + digital):
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Mehrsprachige Geburtsurkunde (internationaler Auszug, falls möglich)
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Apostille + beglaubigte Übersetzung
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Nachweis der Elternschaft beider Eltern (Heiratsurkunde / Partnerschaft / Adoptions- oder Anerkennungsbeschluss)
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Pässe/Ausweise (Eltern + Kind)
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Vollmacht/Vorsorgeschreiben für medizinische Situationen
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V.M.A.-Kurzpassage (europäisches Freizügigkeitsrecht des Kindes)
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Kontaktliste zuständiger Konsulate, Airline-Hotline, Versicherung
Vor Abreise: Daten prüfen (Namen, Schreibweisen, Gültigkeit), QR-Ordner mit Scans erstellen, bei IT/GR tagesaktuelle Praxis checken.
Bei Nachfragen: freundlich um schriftliche Entscheidung mit Rechtsgrundlage bitten.
10) Was du mitnimmst
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Es gibt keinen EU-Einheitscode fürs Familienrecht. Freizügigkeit schützt, aber Zivilrecht bleibt national.
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Top-Schutzländer 2025: Malta, Belgien, Island, Dänemark, Spanien; Deutschland Platz 8.
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Hotspots: Anerkennung grenzüberschreitender Elternschaft und Tragemutterschaft (Achtung Italien; Griechenland beobachten).
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EU-Elternschaftszertifikat wäre der Gamechanger – politisch blockiert (Okt 2025).
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Trans-Rechte* sind für Dokumente essenziell; Konsistenz verhindert Reibung.
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Praxis schlägt Theorie: Dokumente doppelt, V.M.A. dabeihaben, Terminologie bewusst wählen.
11) Mini-FAQ
Gilt unsere Elternschaft in jedem EU-Land automatisch?
Nein. Für Freizügigkeit muss die Eltern-Kind-Beziehung anerkannt werden (EuGH V.M.A.). Die volle zivilrechtliche Gleichstellung richtet sich weiter nach nationalem Recht.
Kommt 2025 das EU-Elternschaftszertifikat?
Nein. Das Parlament unterstützt, im Rat ist die Verordnung blockiert. Bis Oktober 2025 gab es kein Inkrafttreten.
Wie riskant ist Italien bei Auslands-Tragemutterschaft?
Sehr riskant. Seit Oktober 2024 ist Tragemutterschaft für italienische Staatsangehörige auch im Ausland strafbar (bis 2 Jahre Haft, bis 1 Mio. €). Vor Reise-/Rückkehrplanung individuell beraten lassen.
12) Weiterdenken, vernetzen, vorbereiten
Europa bleibt in Bewegung. Bis ein EU-Elternschaftszertifikat Realität wird, entscheidet Vorbereitung darüber, ob der Grenzübertritt Routine oder Hürdenlauf wird. Nutze unsere vertiefenden Beiträge:
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Warum wir „Tragemutter“ sagen (Begriffe erklärt)
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Bundesland-Check 2025 (Anerkennung & Wege)
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Unsere Perspektive als schwules Paar in Deutschland
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🎧 Papaarade Podcast (Season 2): Geburt & erstes Jahr – mit Dokumenten-RealTalk.
💬 Community-Frage: In welchem Land lief eure Anerkennung am glattesten – und wo gab’s Stolpersteine?
Terminologie-Hinweis: Wir verwenden konsequent „Tragemutter/Tragemutterschaft“ (nicht „Leihmutter“). Wo nötig nutzen wir zusätzlich „genetische Mutter“. Sprache ist Haltung – und Haltung verändert Verfahren.
Disclaimer: Dieser Beitrag ersetzt keine Rechtsberatung. Familien-, Personenstands- und Strafrecht ändern sich; Behörden handeln nicht immer einheitlich. Für Einzelfälle – insbesondere mit Auslandsbezug – bitte fachkundig beraten lassen.
Stand / Zuletzt aktualisiert: Oktober 2025
Ausführliche Quellenangabe (extern, Stand: 9. Oktober 2025)
Vergleich & Rankings
- [1] ILGA-Europe (2025): Rainbow Map & Index 2025. 14.05.2025.
https://www.ilga-europe.org/report/rainbow-map-2025/ - [10] ILGA-Europe (2025): Rainbow Map – Interactive, Kategorie „Family“.
https://rainbowmap.ilga-europe.org/categories/family/
EU-Recht & Elternschaft
- [2] Gerichtshof der Europäischen Union (2021): C-490/20 – V.M.A. / Pancharevo (Urteil vom 14.12.2021), EUR-Lex.
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:62020CJ0490 - [3] Europäisches Parlament (laufend): Legislative Train – Recognition of parenthood between Member States (Status: Parlament pro; Rat blockiert).
https://www.europarl.europa.eu/legislative-train/carriage/recognition-of-parenthood-between-member-states - [4] EP Think Tank (2023): Planned EU-wide recognition of parenthood – answering citizens’ concerns.
https://epthinktank.eu/2023/12/12/planned-eu-wide-recognition-of-parenthood-answering-citizens-concerns/
Länder-Entwicklungen
- [5] Associated Press (15.–16.02.2024): Greece legalises same-sex marriage (Berichte & Abstimmung 176:76).
https://apnews.com/article/greece-same-sex-marriage-law-2024 - [6] Reuters (16.10.2024): Italy makes it illegal to seek surrogacy abroad (auch Auslandstatbestand; bis 2 Jahre Haft / bis 1 Mio. €).
https://www.reuters.com/world/europe/italy-makes-it-illegal-seek-surrogacy-abroad-2024-10-16/ - [7] AP / PBS (26.09.2025): Slovakia amends constitution to recognize only 2 sexes.
https://www.pbs.org/newshour/world/slovakia-amends-constitution-to-recognize-only-2-sexes
Reproduktionsmedizin / Frankreich
- [8] Agence de la biomédecine (laufend): Assistance médicale à la procréation (AMP/PMA) – Infos & Umsetzung Bioethik-Reform.
https://www.agence-biomedecine.fr/AMP
Trans-Rechte / Backlash
- [9] TGEU (2025): Trans Rights Map & Index 2025.
https://transrightsmap.tgeu.org/
Rechtlicher Hinweis: Dieser Artikel ersetzt keine Rechtsberatung. Familien-/Personenstandsrecht und Behördenpraxis ändern sich fortlaufend; bei konkreten Fällen (v. a. Tragemutterschaft mit Auslandsbezug) bitte qualifizierte Beratung einholen.
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